Ave verum

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Haus aja textorMusikhören im Altenheim
Ein Bericht von Hannelore Hobbiebrunken

Es gibt Menschen, alte Menschen, die sind orientierungslos. Sie wissen nicht wo sie sich befinden, nicht die Uhrzeit und manche von ihnen erkennen nicht einmal mehr ihre Angehörigen. In einem solchen Pflegeheim bin ich tätig und versuche, diesen Menschen auf irgendeine Weise einen Halt zu geben, unter anderem mit Musik.
Es ist Karfreitag. Fünfzehn altersverwirrt veränderte Menschen sitzen in der sogenannten „Gut Stubb“ in unserem Pflegebereich. Die meisten von ihnen haben die Augen geschlossen, es sieht so aus als schliefen sie. Ich lege eine CD auf, – das „Ave verum corpus“ von Mozart.

Gleich zu Beginn der Musik richtet sich Frau W. aus ihrer versunkenen Haltung in ihrem Rollstuhl auf, es geht ein erkennendes Lächeln über ihr Gesicht, ihr rechter Zeigefinger erhebt sich und Hand, Arm und ganzer Oberkörper bewegen sich in einem Auf und Ab harmonisch zur Melodie. Nie hatten wir das vorher zusammen getan. Ich gebe mein Erstaunen darüber laut kund, da beteiligt sich Frau F., zunächst mit rechtem Arm und Hand, dann mit beiden Armen und Händen, vom Anfang bis zum Ende der Musik und wiederholt mit kreisenden und ruhig schwingenden Bewegungen. Frau F. bringt allerdings Erfahrung in einem solchen Tun aus ihrer Vergangenheit mit. Frau M., die ständig umtriebig umher läuft, bleibt die ganze Zeit über, in der die Musik spielt, auf ihrem Stuhl sitzen. Und Frau K. (100 Jahre alt) besah sich ein Fotoalbum. Als ich die Musik abspielen ließ, neigte sie ihren Kopf zur Seite, – unverwandt. Nach Ablauf der Musik schaute ich in ihr Gesicht. Es war voller Tränen, auch ihre Nase konnte die Feuchtigkeit nicht halten.
Ganz offensichtlich hatte Mozart viel bewegt.

Szenenwechsel zur Arbeitsgruppe „Musicosophia“ im gleichen Haus:
Wir, das sind zwölf Frauen zwischen 50 Plus und 70 Plus, treffen uns seit September 2011 einmal monatlich für eine Stunde zum aktiven Musikhören.
Wir sind bunt gemischt, das heißt, z.B. noch im Pflegeberuf stehende Kolleginnen, Ehemalige, Ehrenamtliche und Externe.
Alle Teilnehmerinnen haben die Musik , an der wir arbeiten, per CD zur Verfügung, um auch zu Hause es hören zu können. Was bisher entstanden ist entnehme ich ihren Äußerungen:
Person 1: „ Das hat mich jetzt richtig wieder in die Ruhe gebracht, diese Musik, – nach dem Stress, den ich heute so hatte.“
Person 2: „ Das ist schön, so etwas Neues zu entdecken. Was alles so aus einem Körper herauszuholen ist.“
Person 3: „ Ich hatte eine Aversion gegen klassische Musik. Jetzt, da ich auf „Stimmungen“ höre und auch schon mal Fragen an die Musik stelle, hat sich etwas mit meinem Hinhören verändert. Ich bekomme einen ganz neuen, bzw. überhaupt einen Zugang zur klassischen Musik.
Person 4: „ Ich fühle mich erfrischt.“
Sehr erfreut war ich über die Äußerung einer Kollegin: „ Ich habe heute Morgen bei der Pflege an der Frau X. die“ Morgenstimmung“ (von E. Grieg) gesummt.“

Dies alles ist entstanden mit Leichtigkeit. Wir treffen uns zu einem großen, wertvollen Spiel, hören in Ernsthaftigkeit zu und vertrauen auf die Wirkung der Musik aus unserem geheimnisvollen Unbewussten.

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